Die historische J.A. Silbermann-Orgel (1741)
Die Familie Silbermann kann – aufgrund der Qualität und des warmen, brillanten Klangs ihrer Instrumente – auch als die Stradivari des Orgelbaus betrachtet werden.
Der in Straßburg geborene Johann Andreas Silbermann war 24 Jahre alt, als er 1736 dem Kapitel St. Thomas seine Pläne für die Konstruktion einer neuen Orgel unterbreitete; der Vertrag wurde 1737 unterschrieben.
J.A. Silbermann zeichnete nicht nur das beeindruckend schöne Gehäuse aus massiver Eiche, das von dem berühmten Holzbildhauer August Nahl d.Ä. (1710-1785) realisiert wurde (der u. a. Holz-Skulpturen im Potsdamer Schloss Sanssouci anfertigte), sondern entwarf auch den oberen Teil der Orgel-Empore. Diese geschnitzten Schiebefenster wurden 1737 von Meister Riediger, einem lokalen Handwerker, erbaut. Der untere Teil dieser Empore stammt aus dem späten 17. Jahrhundert. Die Einweihung der Orgel erfolgte im Februar 1741.
Auf der Rückreise von Paris im Herbst 1778 hielt sich Mozart etwa drei Wochen in Straßburg auf. Das Datum seiner Ankunft ist nicht bekannt; der erste Brief aus dieser Stadt datiert vom 15. Oktober 1778, der zweite wurde am 26. Oktober begonnen und am 2. November, dem Abend vor seiner Abreise nach Mannheim, beendet.
Verbürgt sind Mozarts Klavierkonzerte am 17., 24. und 31. Oktober in der Poêle du Miroir, der Zunftstube der Kaufleute (heute: Salle Mozart) und im damaligen Théâtre français, der heutigen Oper. Mozart spielte auch, in Anwesenheit von J.A. Silbermann, zwei Orgelkonzerte, wie er am 26. Oktober an seinen Vater schrieb:
„[…]Sobald sie den Namen gehört haben, so sind schon gleich die zwei Herren Silbermann und Herr Hepp (Organist) zu mir gekommen, Herr Kapellmeister Richter auch.[…] Ich habe auf die zwei hier besten Orgeln von Silbermann öffentlich gespielt, in der lutherischen Neukirche [aktuell: Temple Neuf] und Thomaskirche. […]“.
(Es ist nicht auszuschließen, dass das von Jean-Baptiste Pigalle geschaffene Mausoleum des Marschall Moritz von Sachsen, das 1777, also ein Jahr vor Mozarts Besuch in Straßburg, eingeweiht worden war, ihn zur Statue des Komtur in seiner Oper „Don Giovanni“ inspirierte)
1790 fügte Johann Conrad Sauer, ein ehemaliger Geselle Johann Andreas Silbermanns, die vorgesehene Echo-Trompete in einen hierfür freigehaltenen Register-Stock ein.
1836 wurde die Orgel teilweise von Martin Wetzel (Strasbourg) romantisiert.
1908 verhinderte Albert Schweitzer die Pläne zur Modernisierung der Orgel; stattdessen erfolgte unter seiner Aufsicht 1908 eine Restaurierung durch Orgelbau Dalstein-Haerpfer (Boulay), nachdem diese Firma 1905 die von ihm konzipierte postromantische Chororgel erbaut hatte.
1909 initiierte A. Schweitzer die Tradition der Orgelkonzerte anlässlich des Todestags von J.S. Bach, am 28. Juli um 21 Uhr.
Kurz vor seinem Tod erinnert sich Albert Schweitzer: « Wie schön war es doch, als ich sie auf Einladung des braven Organisten Adam zum ersten Mal spielte. Sie hatte noch die originalen Klänge aus der Zeit Silbermanns. Das dritte Manual hatte sehr viel Charme. Widor war von der ehemaligen Orgel sehr angetan, als er sie zum ersten Mal hörte. » (Brief von A. Schweitzer an A. Stricker, 8. August 1963)
1927 erfolgte der Einbau einer pneumatischen Traktur durch Georges Schwenkedel (Strasbourg); 1956 wurde die Orgel von der Firma Muhleisen (Strasbourg) elektrifiziert.
1979 unternahm Alfred Kern, entsprechend der Richtlinien der Monuments Historiques, eine werkgetreue Restaurierung der Orgel, jedoch mit einigen technischen Erweiterungen, die ein breiteres Spektrum der Interpretation von Orgelliteratur ermöglichen.
2009 General-Reinigung durch Quentin Blumenroeder (Haguenau) mit Erneuerung der Oberflächen-Behandlung des Gehäuses und Einbau von zwei neuen Keilbälgen.
Aktuell stammt noch etwa die Hälfte der Pfeifen von J.A. Silbermann; selbst die Prospektpfeifen sind alle im Original-Zustand erhalten (als 1917 Orgelpfeifen abmontiert werden mussten, weil das Material für den Krieg benötigt wurde, erteilte die deutsche Regierung die Genehmigung, diese zu behalten – um den historischen Charakter des Instruments zu wahren und weil Silbermann deutscher Herkunft war). Von den 13 Orgeln, die die Familie Silbermann in Straßburg konstruierte, weist die St. Thomas-Orgel den größten Anteil an Originalsubstanz auf.
Die Gliederung des Gehäuses ist optisch interessant: die Flügel des Hauptwerks und des Rückpositivs sind jeweils dreiteilig und weisen abgerundete Ecken auf.
Charakteristisch für die Silbermann-Orgeln ist übrigens das abgerundete Ober-Labium der zentralen Pfeifen an jedem Türmchen, während dieses bei allen anderen Pfeifen eine spitz zulaufende bzw. dreieckige Form hat.
Obwohl die im Februar 1741 eingeweihte Orgel, dem damaligen modischen Geschmack entsprechend, im französischen Stil konstruiert ist, eignet sie sich, nicht nur wegen der sächsischen Abstammung der Familie Silbermann, sondern auch aufgrund der aktuellen Disposition des Pedals, hervorragend für die Interpretation der Musik von J.S. Bach.
Die Klaviaturen, auf denen Mozart spielte, können in der St. Thomas-Kirche noch besichtigt werden: der historische Spieltisch ist in der Kirche ausgestellt.
Daniel Maurer
Photo by Winsoft
Herophoto by Christophe Hamm